Fragen im Interview
Gibt es das wirklich? Eine psychotherapeutische Methode zur Selbsthilfe? Sogar als psychotherapeutische Selbstbehandlung?
Ja, sogar in Norddeutschland, in Twistringen (PLZ 27239). Überrascht?
Ehrlich gesagt, ja. Aber hat sowas nicht Grenzen, oder was kann ich alles damit behandeln?
Grenzen hat jedes psychotherapeutische Verfahren, so auch die Autogene Psychotherapie. Die Frage ist, wo die Grenzen verlaufen. Zum Erlernen und zum Ausloten, wobei es mir helfen kann, sind eine Anleitung und eine anfängliche Begleitung durch einen Psychotherapeuten natürlich Voraussetzung.
Wenn ich nun gar nicht krank bin, einfach nur nach einer Methode suche, die mir im Alltag, bei meiner Arbeit und in meinen Beziehungen weiter hilft, bin ich dann auch noch richtig in der Autogenen Psychotherapie?
Ja. Mit der Methode können Sie nicht nur psychosomatische Beschwerden, Ängste und Depressionen behandeln. Autogene Psychotherapie ist auch eine Methode zur seelischen Selbstentfaltung.
Heißt das, dass autogene Psychotherapie nur für leichtere seelische Probleme geeignet ist?
Nein. Das wäre ein großes Missverständnis. In meiner Praxis setze ich das Verfahren auch bei so genannten Kern-Neurosen und bei schweren Traumatisierungen ein. Und ich gebe das Verfahren auch gern denen weiter, die mehr brauchen, als eine einzige Psychotherapie.
Wie kann es sein, dass autogenes Training in so verschiedener Art angeboten wird? Ich kenne es eigentlich nur als Entspannungsverfahren.
Das autogene Training kommt tatsächlich in den unterschiedlichsten Gewändern daher. Das liegt daran, dass das Verfahren auf den „Naturgesetzen der Seele“ basiert. I.H. Schultz, der Begründer des autogenen Trainings, hat immer auch an einer „bionomen Psychotherapie“ gearbeitet. Es liegt auch an der Ausbildung und Persönlichkeit des einzelnen Psychotherapeuten, der es durchführt. In der Hand des Verhaltenstherapeuten wird das Verfahren vermutlich verhaltenstherapeutisch – in der Hand des Psychoanalytikers zu einem analytischen bzw. tiefenpsychologischen Verfahren. Die Liste könnte ich fortsetzen…
Warum ist es dann nicht weiter verbreitet?
Das autogene Training ist ja weit verbreitet. Weltweit sogar. I.H. Schultz hat bis 1970 gelebt, er hat es erleben dürfen, wie sich seine Entdeckung verbreitet hat. Er war aber nicht nur glücklich darüber. Bereits in seiner 2. Buchauflage seines großen Werkes „Autogenes Training“ (Konzentrative Selbstentspannung), also vor dem 2. Weltkrieg, wies er darauf hin, dass „Vieles, was heute unter … dem Titel „Autogenes Training“ geschieht, nicht mehr das geringste mit unserer Methode zu tun hat.“
Gut, als Entspannungsverfahren kennt es fast schon jedes Kind. Aber was ist Autogene Psychotherapie?
Autogene Psychotherapie hat sich in Österreich entwickelt. Als eine tiefenpsychologische Psychotherapiemethode ist sie dort gesetzlich anerkannt. Die österreichischen Krankenkassen bezuschussen die Kosten für Autogene Psychotherapie ebenso hoch wie z.B. für Verhaltenstherapie, für Psychoanalyse oder andere Therapieverfahren. In der Schweiz mag man es auch noch kennen, und in Italien hat man noch eine Vorstellung davon. In Deutschland aber findet man das Angebot selten.
Wie kann es sein, dass die Autogene Psychotherapie in Deutschland, also in dem Land, in dem das autogene Training entdeckt und entwickelt wurde, ein Stiefmütterchendasein führt?
Oh, das liegt wohl an sehr zahlreichen, verschiedenen Gegebenheiten und Entwicklungen. Um nur einige, wenige zu nennen:
Grundsätzlich haben die klassischen, psychotherapeutischen Verfahren aus unserem Kulturkreis auf Grund der Entwicklungen des Nationalsozialismus und dem Holocaust eine tiefe Erschütterung erfahren. Für die Entwicklung der Psychotherapie und Psychoanalyse hieß dies u.a., dass man nach dem 2. Weltkrieg sozialpsychologischen Theorien, die im englisch-sprachigen Raum bereits existierten bzw. aufkamen, mehr Gewicht gab. Psychotherapie und Psychoanalyse haben hiervon zweifellos sehr profitiert, gleichzeitig ist aber die Theorie von der Beschaffenheit der Seele jedes Einzelnen, in den Hintergrund getreten. Die Vorstellung von der notwendigen Selbsterziehung, der Selbstverantwortung des Einzelnen gerieten hierbei mehr und mehr außeracht. Die Entwicklung ist auch im gesellschaftlichen Klima zu beobachten: Der Gedanke, dass Andere uns helfen müssen oder sollen, wenn wir Probleme haben oder wenn wir in Schwierigkeiten sind, liegt uns inzwischen näher, als der Gedanke, dass ich mir selbst helfen kann oder muss. Das war in unserem Land bis in die 1980er Jahren noch anders!
Welche Gründe gibt es noch? Sie deuteten an, dass es verschiedene sind.
Ja, die Fachgesellschaften für Hypnose und Autogenes Training haben zu wenig erkannt, dass die Reduzierung des autogenen Trainings auf ein Entspannungsverfahren ein großer Fehler war und immer noch ist. Krankenhäuser, Kureinrichtungen und ambulante Praxen fokussieren schwerpunktmäßig auf die entspannende Wirkung des autogenen Trainings, und nicht auf seinen psychotherapeutischen oder meditativen Charakter. Ja sogar Krankenkassen bieten es an, stellen Sie sich das mal bei anderen schulmedizinischen Behandlungsverfahren vor!
Wie kann es sein, dass man so etwas Wertvolles in unserer Gesellschaft wieder aus den Augen verliert?
Ich glaube, im Grunde genommen, weil man das autogene Training ja zu den Menschen bringen muss. Und dabei ist der Gedanke an Entspannung selbstverständlich verführerischer, er lässt sich besser „anbieten“, als die Anforderung, an sich selbst psychotherapeutisch zu „arbeiten“. Die Fokussierung auf Entspannung bedeutet aber auch für den Behandler weniger Arbeitsaufwand; er muss seinen Patienten nicht mehr verstehen. Ärzte haben recht früh damit begonnen, die Vermittlung des autogenen Trainings ihren Helferinnen zu übertragen. Im Katalog der kassenärztlichen Versorgung taucht das autogene Training zwar noch auf, es wird aber schon lange ausgesprochen geringfügig vergütet.
Spielte bei der Konzentration auf Entspannung auch der Gedanke an Stress eine Rolle?
Ganz bestimmt, ich denke entscheidend sogar, ja. Mit der Stressdiskussion, die in den 1960er Jahren begann, als man noch von Managerkrankheit sprach und nicht vom Burnout, leuchtete es vielen Menschen erst ein, dass ihr seelisches Befinden einen großen Anteil an Ihren Beschwerden und ihrem Befinden hat. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, wie schwierig es war, die Seele ernst zu nehmen. Das Erklärungsmodell „Stress“ war aber dermaßen einleuchtend, dass es Wesentliches geradezu ausgeblendet hat. Es reicht eben nicht aus, Andere, oder die gesellschaftlichen Verhältnisse als Verursacher unserer Probleme zu sehen. Das Leben gelingt nicht dadurch, dass wir nur danach suchen, uns wohl zu fühlen. Auch wenn das autogene Training in besonderer Weise dazu in der Lage ist, uns den Zustand des Wohlbefindens zu verschaffen. Viel häufiger geht es um den Verzicht, die Los-Lösung, das Sein-Lassen, um die Begrenzung, die Selbstständigkeit, die wir entwickeln müssen, wenn wir letztlich mit dem zufrieden werden wollen, was wir hinbekommen. Und das ist mindestens unbequem.
Werde ich durch die Autogene Psychotherapie zum Asketen?
Nein, sicher nicht. Das autogene Training oder die Autogene Psychotherapie kennen keine Ideologie und keine Sexualunterdrückung. Sie werden es aber auch aus anderen Zusammenhängen kennen, das weniger häufig mehr ist. Ich muss wohl immer wieder zu mir kommen - z.B. indem ich mich zurückziehe auf meine autogenen Übungen - mir seelische Innenräume eröffnen, die das Erleben des Wesentlichen erst wieder ermöglichen. Sie müssen mit der Erhöhung Ihrer Genussfähigkeit rechnen, und das kann auch im Sexuellen so sein, wenn sie autogen trainieren. Sie müssen mit einer Steigerung Ihrer Kreativität rechnen, alles wunderbare Wirkungen, die man sich auch von der Meditation verspricht. Schultz hat ein Verfahren entwickelt, das sehr gut zu den Bedürfnissen der Menschen unseres Kulturraums passt. Und in der jetzt so empfundenen Beschleunigung unserer Zeit, der man sich - nach Ansicht heutiger Philosophen - nicht mehr entziehen kann, ist das autogene Training wohl „nie wertvoller gewesen, als heute“.
Ich muss also nicht befürchten, dass Autogene Psychotherapie einen Eingriff in meine Person vornimmt, wie wir es von Suggestionsverfahren kennen, dass ich die Dinge anders sehen muss, als sie sind?
Nein. Im Gegenteil. Sie lassen sich auf eine „innere Reise“ ins Ungewisse ein, ohne dass Ihnen jemand „reinredet“. Sie erhalten halt wenig Anleitung, wie sie leben oder wie sie es machen sollen. Sie lassen sich auf eine „autogene Entwicklung“ ein, von der niemand weiß, wohin sie führt. Wir nennen das Selbstfindung, Selbstentfaltung. Wenn Sie daran kein Interesse haben, sind Sie in der Autogenen Psychotherapie nicht richtig.
Und wieviel zeitlichen Aufwand muss ich kalkulieren?
Nehmen Sie sich ein halbes Jahr Zeit, um gut hineinzufinden. Sie können an 7 Treffen zur Einführung in die klassischen Übungen teilnehmen. Die Treffen dauern jeweils 90 Minuten und finden wöchentlich zur selben Zeit statt. Das Üben Zuhause sollte 10 Minuten pro Tag mindestens an 5 Tagen die Woche nicht unterschreiten, um ein ausreichend gutes Ergebnis zu erzielen. Natürlich dürfen Sie öfter üben – wie es Ihnen gefällt. Nach einem halben Jahr findet ein Treffen im selben Kreis statt, in dem Sie gelernt haben. Entweder als Ganztagstreffen oder an zwei zusammenhängenden Nachmittagen, jeweils über 4 Doppelstunden Dauer.
Mit der Einführung und der Auffrischung/Vertiefung haben Sie ein geschlossenes Verfahren an der Hand. Und das haben Sie, wenn Sie es wollen, lebenslang! Wenn Sie „Feuer gefangen“ haben, mehr von der Methode möchten, biete ich die Möglichkeit der Weiterführung der autogenen Psychotherapie mit der „Imagination autogen“ an. Als Kurs 14tg. über 8 Treffen oder aber im selben Setting wie der Auffrischungskurs (ganztags oder 2 Nachmittage), je nach Absprache.
Wie häufig kommt es vor, dass Sie Patienten in Ihrer Praxis Autogene Psychotherapie als alleiniges Verfahren anbieten?
Wenn eine seelische Erkrankung vorliegt, kommt es selten vor. Wir erkranken seelisch auf Grund schädlicher Einflüsse in Beziehungen; da spricht natürlich Vieles für eine therapeutische Beziehung, einzeln zwischen Patient und Therapeuten oder auch in Gruppen (Gruppentherapie). Aber bedenken Sie: Viele haben bereits Psychotherapieerfahrung, so dass mein Angebot häufig auf Menschen trifft, die wissen, dass sie an sich „arbeiten“ wollen. Und es ist durchaus auch möglich, dass ein Patient erst über die Autogene Psychotherapie seinen inneren Zugang zur psychotherapeutischen Arbeit bekommt. Dass er sich einem Psychotherapeuten erst danach anvertraut, wenn er genügend Selbstsicherheit in der „autogenen Entwicklung“ erlangt hat. Also wenn jemand mit einer krankheitswertigen Problematik kommt und nur die Autogene Psychotherapie möchte, lehne ich dies nicht ab.
Woran erkenne ich, ob mir das Verfahren letztlich reicht?
Na sicherlich, wenn es Ihnen damit gut geht und Sie vorankommen.
Und woher nehme ich die Sicherheit, dass ich mir selbst nicht einfach etwas vormache?
Ach wissen Sie, so lange uns noch zugetraut wird, dass wir unser Leben selbst führen dürfen, können wir uns auch eines Verfahrens bedienen, das uns dabei hilft. Wir sind damit ja nicht allein gelassen, wir können uns bei unseren Mitmenschen erkundigen, was diese meinen, was mit uns los ist, und wir haben weiter das Recht, einen Psychotherapeuten aufzusuchen, wenn wir das wollen.
Hatten wir nicht schon mal Zeiten, in denen psychotherapeutische Selbstbehandlungen versucht wurden? Und wieso sind sie wieder verschwunden?
Ja, in den 1980er Jahren war es hauptsächlich in Studentenkreisen modern. Man hat sich damals aber darin „verstrickt“. Es muss allerdings dazu gesagt werden, dass die Selbstbehandlungsmethoden seinerzeit sehr „kopflastig“ waren. Mit dem autogenen Training hat man es meines Wissens nicht versucht, es galt wohl schon damals als „verstaubt“. Es waren eher philosophische, „geistig hochfliegende“ Ansätze, sich selbst analysieren zu wollen.
Das autogene Training und damit auch die Autogene Psychotherapie haben den Vorteil, dass es auch körpertherapeutische Verfahren sind. Viele ihrer guten Wirkungen basieren auf einer „Körperbeseelung“, wie Schultz es ausdrückte. „Es arbeitet“ im vegetativen Zustand der Nacht, wie der Traum im Schlaf, der ja auch „Seelenarbeit“ betreibt. Wie ich mit der Bedeutung von „autogenem Erlebnismaterial“ umgehe, lerne ich bereits von Beginn an in den Kursen. Das Tragende im Autogenen ist das Geschehenlassen.
Warum spricht man heute von Autogener Psychotherapie? Warum hat man den Begriff autogenes Training geändert?
Das autogene Training ist ein psychotherapeutisches Verfahren. Von daher ist die Betonung auf das Psychotherapeutische erst wegen der Entwicklung der letzten Jahrzehnte notwendig geworden, in denen das autogene Training zum Entspannungsverfahren wurde. Selbst in Fachkreisen begreift man das autogene Training ausschließlich als ein rein „zudeckendes“, beruhigendes Verfahren, allen Veröffentlichungen zum Trotz! Wir sind mit dem autogenen Training in eine Sackgasse geraten.
Das autogene Training ist „die legitime Tochter der Hypnose“. I.H. Schultz hatte bei der Behandlung von „Nervösen“ und von „Neurotikern“ die Ruhehypnose eingesetzt, nicht um die Patienten entspannt und glücklich aus seiner Praxis heraus spazieren zu lassen, sondern als Teil seiner psychotherapeutischen Behandlung. Seine große Entdeckung, dass man den Zustand der Trance selbst – autogen – entwickeln und psychotherapeutisch für sich nutzen kann, macht dieses Verfahren so einzigartig und kostbar unter den Psychotherapieverfahren: nämlich zum Selbstbehandlungsverfahren.
Es klingt ja, als sei die autogene Psychotherapie die Lösung unserer aktuellen Problemlage: psychische Störungen haben Hochkonjunktur und bei diesem Andrang haben die Psychotherapeuten zu wenig Behandlungsplätze. Krankenkassen bieten ja schon Online-Beratung an ...
So interessant unsere deutsche Therapieplatzdiskussion auch sein mag, sie sprengt hier jetzt den Rahmen. Wir leben in einem Land, in dem im weltweiten Vergleich die meisten Psychotherapien zu Lasten der Krankenversicherungen durchgeführt werden. Aber theoretisch haben Sie recht, die Autogene Psychotherapie könnte auch beim „Therapieplatzproblem“ helfen.
Aber der Zeitgeist einer Gesellschaft, auch die angebotenen Behandlungen sowie die Nachfragen der Patienten sind Moden unterworfen. Zur Zeit blüht wieder der Glaube an den technischen Fortschritt. In der Behandlung der Seele setzt man verstärkt auf Medikamente und auf eine symptomorientierte Spezialisierung der Psychotherapie-Methoden. Die Leute greifen zahlreich zu Ratgebern. Wir meinen mal wieder, wir könnten „alles in den Griff“ bekommen. Und dies geschieht nun zeitlich nach Freuds großer Erkenntnis, dass wir „nicht Herr im eigenen Hause“ sind!
Was psychotherapeutisch richtig ist, ist vielleicht auch in der Wahl der Psychotherapie-Methode richtig. Es wäre wohl besser für uns, wenn wir uns wieder auf unsere Wurzeln besinnen. Wir tun dies mit der autogenen Psychotherapie, sind damit aber wohl unserer Zeit voraus. Autogene Psychotherapie bewegt sich nicht im Mainstream – und muss daher von jedem Einzelnen erst entdeckt werden.
Ich freue mich mit Jedem, dem es gelingt!
Dipl.-Psych. Helfried Tiemeyer
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